Berlin – Es brodelt innerhalb der jesidischen Gemeinschaft. Grund dafür ist ein verstörendes Video, das mutmaßlich den stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“, Berkat Tas, in Syrien mit islamistischen Kämpfern und Politikern zeigt. In dem Video wird außerdem für die Herrschaft der islamistischen Milizen geworben. Dies legt ein Video nahe, das SJA exklusiv vorliegt (siehe unten). Im Detail zeigt der etwa viereinhalbminütige Videoclip den stellvertretenden Vorsitzenden des „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“ wie er in Syrien mit Milizen, deren Vorsteher und lokalen Politikern einer Zusammenkunft beiwohnt.

Doch wer ist im Video zu sehen und vor allem: wo und wann ist es entstanden? Auf eine SJA-Anfrage hat der „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“ bislang nicht reagiert. Wir haben daher selbst recherchiert: Zum Ort der Aufnahme gibt es mehrere Hinweise. Der stärkste Hinweis ist die Fahne der Stadt, in der die Zusammenkunft stattgefunden haben könnte: das nordsyrische Ras al-Ain (Kurmandschi: Serê Kaniyê). Ende 2019 wurde die Stadt von der Türkei besetzt und wird seitdem u. a. von islamistischen Milizen aus dem Umfeld der Syrischen Nationalen Armee (SNA) kontrolliert. Der SNA und der ihr zugehörigen Milizen werden immer wieder massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen – explizit auch gegen Jesidinnen und Jesiden.

Der genaue Zeitpunkt der Entstehung des Videos ist unklar. Möglich ist, dass das Video Anfang November 2021 entstand und ursprünglich in eine Art PR-Kampagne des Zentralrats zur Rückkehr nach Syrien genutzt werden sollte. Denn am 08.11.2021 veröffentlichte der „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“ auf seiner Facebookseite einen Beitrag (siehe unten) mit dem Titel „Wir unterstützen die Rückkehr der Êzîden in ihre Heimat“. Die Aktion sorgte für massiven Unmut und Irritation unter Jesidinnen und Jesiden weltweit. Auch SJA veröffentlichte damals dazu eine Presseerklärung und kritisierte die  verantwortungslose Haltung und das gefährliche Vorgehen des „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“ scharf. (Diese Erklärung lesen Sie hier).

Ein Treffen zwischen Vertretern des Zentralrats der Eziden mit islamistischen Milizen in Syrien wäre aus Sicht vieler Jesidinnen und Jesiden ein ernstzunehmender Skandal. Sollte der Besuch darüber hinaus dazu gedient haben, eine an Jesidinnen und Jesiden gerichtete Rückkehr-Kampagne zu unterstützen, würde das außerdem einen massiven Vertrauensverlust und ein moralisches Totalversagen darstellen. Denn Jesidinnen und Jesiden werden in Syrien seit Jahren gezielt von unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen verfolgt: jesidische Heiligtümer zerstört, ganze Familien bedrängt, gedemütigt, vertrieben, und nicht selten sogar auf Grund ihrer Religion ermordet. SJA dokumentierte beispielsweise einen Fall einer Zwangskonversion in Nordsyrien (Jesiden in Syrien: Verstörendes Video soll Zwangskonversion zeigen). Tausende Mitglieder der jesidischen Gemeinschaft aus Syrien mussten seit Ausbruch des Krieges aus dem Land fliehen, viele von ihnen fanden auch in Deutschland Schutz.

Vor diesem Hintergrund ist eine lückenlose Aufklärung der gesamten Affäre dringend notwendig. Wir fordern die beiden Vorsitzenden des „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“, Dr. Irfan Ortac und Zemfira Dlovani dazu auf, Verantwortung zu tragen und daraus Konsequenzen zu ziehen.