Das Treffen von Berkat Tas, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“ mit islamistischen Milizen in Syrien bewegt derzeit weite Teile der jesidischen Gemeinschaft in Deutschland. Recherchen von SJA haben ergeben, dass neben dem stellvertretenden Vorsitzenden des „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“, Berkat Tas, auch Abdurrahman Mustafa, der Chef der syrischen Übergangsregierung, im Video zu sehen ist. Die lückenlose Aufklärung der Affäre ist im Interesse aller Jesidinnen und Jesiden.
Zur besseren Einordnung des Videos hat SJA mit der renommierten Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Nahost-Expertin Kristin Helberg gesprochen. Zur Region sagt Frau Helberg: „Die Türkei hält die Gebiete im Norden Syriens völkerrechtswidrig besetzt. Politisch arbeitet sie vor Ort mit Vertretern der syrischen Interimsregierung zusammen, die als Vertreterin der in der Türkei sitzenden syrischen Exil-Opposition von der Regierung Erdogan abhängig ist und entsprechend unter ihrem Einfluss steht.“
Es erscheint befremdlich, warum ausgerechnet der Zentralrat der Eziden in Deutschland (ZÊD) enge Kontakte in diese türkisch besetzten und von der SNA kontrollierten Gebiete pflegt.
Weiter sagt sie, dass die Türkei diese Gebiete militärisch kontrolliere – und zwar mithilfe syrischer Söldner, die überwiegend aus islamistischen Milizen der Syrischen Nationalen Armee (SNA) bestehen. „Dort existieren eine Vielzahl rivalisierender Milizen, die sich auf Kosten der Bevölkerung bekriegen und bereichern. Besonders im seit 2018 besetzten Afrin agieren diese bewaffneten Gruppen wie kriminelle Banden ohne interne Disziplin, sie beteiligen sich an willkürlichen Verhaftungen, Entführungen und Plünderungen. Die UN-Untersuchungskommission zu Syrien wirft der SNA in Afrin systematische und koordinierte Verbrechen vor, darunter Plündern, Beschlagnahmung von Besitz und Land, Folter, Vergewaltigungen, Zerstörung von Weltkulturerbe und die Schändung religiöser, insbesondere jesidischer Stätten. Vor diesem Hintergrund erscheint es befremdlich, warum ausgerechnet der Zentralrat der Eziden in Deutschland (ZÊD) enge Kontakte in diese türkisch besetzten und von der SNA kontrollierten Gebiete pflegt.“
Auch internationale Menschenrechtsorganisationen prangern immer wieder die heikle Situation in den ehemals von Jesiden, Assyrern, Kurden und anderen Ethnien bewohnten Gebieten an.
Kristin Helberg: „Zwei anerkannte Menschenrechtsorganisationen – das ECCHR und Syrians For Truth and Justice (STJ) – haben in Deutschland wegen dieser Völkerrechtsverbrechen Anzeige gegen einzelne SNA-Milizen erstattet, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.“ Sie fährt fort: „Aus dem Gebiet östlich des Euphrats zwischen Tal Abyad/Girê Spî und Ras al-Ain/Serê Kaniyê (120 km lang, 30 km tief), das die Türkei im Oktober 2019 angegriffen und erobert hat, wurden damals Zehntausende Menschen vertrieben. Die meisten von ihnen leben bis heute auf dem Gebiet der Demokratischen Autonomen Verwaltung in Nord- und Ostsyrien (DAANES) in zwei nahegelegenen Lagern für IDPs – Washokani Camp und Serê Kaniyê Informal Camp – unter extrem prekären Bedingungen und ohne Unterstützung der UN. Solange das Gebiet türkisch besetzt ist, können sie nicht in ihre Wohnungen und Häuser zurückkehren.“
Mit Blick auf türkische Interessen in der Region ergänzt Nahostexpertin Helberg: „Beobachter befürchten, die Türkei wolle mit der Ansiedlung syrischer Geflüchteter aus der Türkei in den von ihr besetzten Gebieten dauerhafte demographische Veränderungen herbeiführen. Der Bau von Siedlungen für überwiegend arabische Syrer in Gebieten, aus denen zuvor Kurden, Assyrer und Jesiden vertrieben wurden, sei eine Form von ethnischer Säuberung und ‚demographic engineering‘, argumentieren Menschenrechtsorganisationen wie STJ. In einem im Juni 2023 veröffentlichten Bericht spricht STJ außerdem von undurchsichtigen Verfahren bei der Vergabe von Plätzen in den von der Türkei errichteten Siedlungen in Afrin. 75 Prozent der Begünstigten seien dort SNA-Kämpfer und ihre Familien. Diese Politik der demographischen Veränderung verstärkt die nach 13 Jahren Krieg ohnehin großen sozialen Spannungen in der syrischen Gesellschaft zusätzlich.“
Vor diesem Hintergrund erscheint die Aufklärung des Treffens von Tas und der diesbezüglichen Haltung des Zentralrats dringender denn je. Wir appellieren an die beiden Vorsitzenden des „Zentralrat der Eziden in Deutschland e.V.“, Dr. Irfan Ortac und Zemfira Dlovani, Fakten auf den Tisch zu legen und Verantwortung zu übernehmen.
Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin KRISTIN HELBERG berichtete sieben Jahre lang von Damaskus aus über den Nahen und Mittleren Osten für deutsche, österreichische und Schweizer Hörfunkprogramme sowie verschiedene Print- und Onlinemedien. Heute arbeitet sie als Autorin, Nahostexpertin und Moderatorin in Berlin. Im Herder Verlag erschienen von ihr drei Bücher: „Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land“ (2012), „Verzerrte Sichtweisen – Syrer bei uns. Von Ängsten, Missverständnissen und einem veränderten Land“ (2016) und „Der Syrien-Krieg. Lösung eines Weltkonflikts“ (2018). Als Stipendiatin der Stiftung Mercator untersuchte sie die syrische Diaspora in Deutschland.