In Anbetracht der aktuellen Diskussion um die Verunglimpfung und Beleidigung des jesidischen Volkes seitens eines in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hellen Sterns am Himmel der kurdischen Musikszene, veröffentlicht die KGD (Kurdische Gemeinde in Deutschland) auf ihrer Facebook-Präsenz ein Foto, das keines Wortes mehr bedarf.

Dennoch: was ist auf diesem Post zu sehen?

Auf dem Foto, das am 19.04.2020 gegen 20:00 Uhr gepostet wurde, ist eine der schönsten Landschaften Kurdistans zu sehen: ein vom Frühling umhüllter, paradiesisch anmutender Berg, dem ein Wasserfall entspringt – und den geschichtsträchtigen Namen „Gelîyê Alî Beg“ (Tal des Ali Beg) trägt.

Wie ist der Zusammenhang zur aktuellen Diskussion?

Während der Zentralrat der Êzîden in Deutschland sich erschüttert über die Aussagen des türkisch-kurdischen Sängers gezeigt und alle kurdischen Vereine und Organisationen zur Verurteilung der verletzenden und hetzerischen Worte aufgefordert hat, relativierte die KGD die von muslimischen Kurden an Jesiden und andere Minderheiten wie Armenier begangenen Massaker der vergangenen Jahrhunderte, dass diese „von den Besatzerstaaten fingiert“ gewesen sind. Statt also dem Wunsch der Jesiden nachzukommen und eine Brücke zu bauen, wird hier schlichtweg die kurdische Eigenverantwortung an Völkermorden abgewiesen und die Hetze außen vorgelassen.

Warum hat dieser Post mehr als nur naturlandschaftliche Symbolkraft und was sagt der Name „Gelîyê Alî Beg“ aus?

Mîr Alî Beg war das weltliche Oberhaupt der Jesiden. Als der kurdische Fürst Mohammed Rewanduzî über das jesidische Sheikhan herfiel, Tausende Jesiden ermordete und rund 10.000 jesidische Kinder und Frauen versklavte, startete Mîr Alî Beg trotz aussichtsloser Chancen einen Verteidigungsversuch, der scheiterte. Er wurde von Mohammed Rewanduzî gefangen genommen. Daraufhin begann ein wochenlanges Martyrium für das weltliche Oberhaupt der Jesiden: Mohammed Rewanduzî veranlasste, dass Mîr Alî Beg mit Gewalt zur Aufgabe des jesidischen Glaubens und zur Annahme des Islams gezwungen werden sollte. Ziel war es, so die tribal organisierte jesidische Gemeinschaft als Ganzes zum Übertritt zum Islam zu bewegen und unter die Herrschaft Rewanduzîs zu bringen. Trotz schwerer Folter weigerte sich Mîr Alî Beg, seinen Glauben aufzugeben, obwohl ihm dann die Freiheit geschenkt worden wäre. Daraufhin wurde er ins jene Tal mit jenem Wasserfall gebracht, das auf dem Foto zu sehen ist. Dort wurde das Oberhaupt der Jesiden ermordet.

Für die Jesiden war Mîr Alî Beg eine sehr bedeutende Persönlichkeit, der auf Rettungsmission für sein Volk getötet worden ist. Der Post erzeugt in einer so erregten Situation den Eindruck einer Drohung und eine Machtdemonstration gegenüber allen Jesiden. Das ist weder angebracht, noch klug. So wird nur Öl ins Feuer gegossen, statt dagegen anzukämpfen und Toleranz und das Miteinander zu fördern.

Was folgt nun?

Wie heißt es so schön: wenn Gott ein Fenster schließt, öffnet er zugleich eine Tür. Ein inzwischen unbedeutender Sänger, der wieder in die Öffentlichkeit treten will und andere Mitmenschen aufs Übelste beleidigt und verunglimpft, hat zu einer großen Chance geführt, gemeinsam über ein Thema zu diskutieren, das bis heute von vielen, wenn auch nicht allen, totgeschwiegen wird: die Aufarbeitung der kurdischen Geschichte und der Relativierung der Eigenverantwortung an Massakern und Genoziden gegen andere Glaubensanhänger. Die Jesiden haben durch den Zentralrat bereits ihre volle Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert. Wir schließen uns diesem Angebot an und bieten allen kurdischen Vereinen und Organisationen an, sich mit uns mit ihrer und unserer Geschichte gemeinsam auseinanderzusetzen. Denn Versöhnung und ein ernsthaftes friedliches Miteinander geht nur über Aufklärung und Aufarbeitung; das beste Beispiel ist die Bundesrepublik Deutschland, in der wir mit Sicherheit auch viele Institutionen und Organisationen zur Mithilfe an diesem wichtigen Projekt gewinnen werden.