Der grausame Mord an der fünfjährigen Reda schockierte selbst erfahrene Ermittler. Nun wurde in Frankfurt Anklage gegen den mutmaßlichen Mörder des jungen Mädchens erhoben.

von Caspar Schliephack

Die Bundesanwaltschaft hat am 14. Februar 2020 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Anklage gegen den mutmaßlichen Mörder der fünfjährigen Reda erhoben. Bei dem angeklagten irakischen Staatsangehörigen Taha a.-J. (auch „Abu Muʿāwiya“ genannt) handelt es sich um den Ehemann von Jennifer W., gegen die bereits am 14. Dezember 2018 in München Anklage erhoben wurde. Taha a.-J. befindet sich seit dem 10. Oktober 2019 in Deutschland in Untersuchungshaft, nachdem er im Mai 2019 in Griechenland festgenommen und am 9. Oktober 2019 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt und festgenommen worden war.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im Sommer 2015 aus einer Gruppe von jesidischen Gefangenen des IS heraus Nora T. und ihre fünf Jahre alte Tochter Reda „gekauft“ zu haben. Laut Anklage erfolgte der Ankauf sowie die anschließende Versklavung durch den Angeschuldigten – neben erstrebten Annehmlichkeiten in seinem Haushalt – in der Absicht, die Jesiden, ihre Religion und Kultur im Einklang mit den Zielen des IS zu vernichten.

Die Vorwürfe gegen Taha a.-J. beinhalten außerdem, dass er Mutter und Tochter in den von ihm gemeinsam mit der gesondert Verfolgten Jennifer W. geführten Haushalt in der zentralirakischen Stadt Falludscha verbrachte, wo sie von beiden fortan als Sklavinnen „gehalten“ und nur unzureichend mit Lebensmitteln und Wasser versorgt wurden. Der Angeschuldigte untersagte beiden der Anklage nach, die eigene Religion auszuüben und zwang sie, zum Islam zu konvertieren, beim Verlassen des Hauses einen Vollschleier anzulegen, den Koran zu lesen sowie regelmäßig zu beten. „Beide wurden von Taha A.-J. mehrfach unter anderem auch heftig geschlagen, um sie zu bestrafen und zu erniedrigen. Bei einer Bestrafungsaktion schickte der Angeschuldigte die jesidische Frau bei sengender Hitze barfuß in den Hof des Anwesens. Hierdurch erlitt sie große Schmerzen und durfte erst nach einer halben Stunde wieder das Haus betreten. Anschließend fesselte Taha a.-J. das Mädchen im Freien an ein Fenster. Dort war es Temperaturen bis zu 50°C schutzlos ausgeliefert und verstarb hierdurch qualvoll. Diesen Tod des Mädchens hatte der Angeschuldigte für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen“, ist in der Anklageschrift zu lesen.

Insgesamt ist Taha a.-J. verdächtig, als Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat (IS)“ aus niedrigen Beweggründen einen Menschen grausam getötet zu haben. Zudem ist er wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, sowie Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft angeklagt.

Überzeugte Anhängerin – kaltblütige Gehilfin

Jennifer W., deren Prozess am Staatsschutzsenat dem Oberlandesgerichts München verhandelt wird, reiste im August 2014 aus Deutschland über die Türkei ins Herrschaftsgebiet des IS in Syrien und dem Irak. Dort war sie ihrer Anklage zufolge Mitglied der „Hisba“ (eine Art Sittenpolizei des IS) und patrouillierte abends mit Sturmgewehr, Pistole und Sprengstoffweste in den Parks der irakischen Städte Falludscha und Mossul, wofür sie monatlich zwischen 70 und 100 US-Dollar Sold erhielt. Im Irak heiratete sie den IS-Kämpfer Taha a.-J. („Abu Muʿāwiya”), dem nun Angeklagten mutmaßlichen Mörder der kleinen Reda. Ende Januar 2016 suchte die Angeschuldigte die Deutsche Botschaft in Ankara auf, wo sie neue Ausweispapiere beantragte. Sie wurde beim Verlassen des Botschaftsgebäudes von Angehörigen türkischer Sicherheitsbehörden festgenommen und wenige Tage später in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. In der Anklageschrift heißt es: „Seither hat es sich die Angeschuldigte zum Ziel gesetzt, in das Herrschaftsgebiet des IS zurückzukehren.“

In Deutschland angekommen, brachte die aus dem niedersächsischen Lohe stammende Konvertitin ein Kind zur Welt und plante ihre Rückkehr in das IS-Herrschaftsgebiet. In Zusammenarbeit mit dem amerikanischen FBI gelang es deutschen Sicherheitsbehörden Mitte 2018 die junge Frau als IS-Mitglied zu überführen und aufzuzeichnen, wie Jennifer W. gegenüber einem Informanten den Mord an der fünfjährigen Reda in Falludscha erwähnte. Wie tief verankert die menschenverachtende IS-Ideologie und der Hass auf Anders- und aus ihrer Sicht Ungläubige ist, zeigt ihre Aussage über die ermordete fünfjährige Jesidin Reda: Laut Spiegel bezeichnete Jennifer W. sie gegenüber dem FBI-Informanten als „unser kleines Sklaven-Mädchen“.

Die Niedersächsin wurde am 29. Juni 2018 auf dem Weg ins IS-Herrschaftsgebiet nach Syrien festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Sie wird verdächtigt, als Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat (IS)“ aus niedrigen Beweggründen einen Menschen grausam getötet und hierdurch ein Kriegsverbrechen begangen zu haben. Zudem wird der mittlerweile 28-Jährigen ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zur Last gelegt.

Der Prozess sollte ursprünglich bereits am 30. September beendet werden. Inzwischen hat das Gericht aber schon mehrfach mit weiteren Prozesstagen nachterminiert. Derzeit ist der letzte Verhandlungstag für den 15. Mai geplant. Mit Verweis auf die Dauer des Verfahrens reichten die Verteidiger von Jennifer W. Antrag auf Haftentlassung und Aufhebung des Haftbefehls ein. Dies wurde jedoch vom OLG München abgelehnt und anschließend vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe für unbegründet befunden, da weiterhin dringender Tatverdacht gegen Jennifer W. bestehe.

Die Verhandlungen werden auf Grund der Grausamkeit der Tat von etlichen deutschen und internationalen Medien begleitet. Zentral für die Anklage waren unter anderem die Aussagen von Nora T., der traumatisierten Mutter der kleinen Reda. Sie hatte die Gefangenschaft und die grausamen Misshandlungen überlebt und wurde im Irak von der Hilfsorganisation Yazda beraten und befragt. Mittlerweile befindet sie sich in Deutschland. Sie wurde in das Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes aufgenommen und berichtet deutschen Behörden über die Verbrechen des IS.

Bei der Identifizierung der Täter und der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen setzen viele Jesiden große Hoffnungen in die deutschen Strafermittlungsbehörden und den deutschen Rechtsstaat. Das Vertrauen der jesidischen Gemeinschaft in die irakische Justiz wurde vor Kurzem erschüttert, als ein junger Jeside und Überlebender des Genozids durch ein irakisches Gericht trotz fehlender Beweise wegen Mord zum Tode verurteilt wurde.

Zeichnung: Zhiyar Alkaidy